Strom in Deutschland: 5.5.2019 bis 11.5.2019 / Deutschlands Energiewende

 

 

Gut gemeint, schlecht gelungen – Deutschlands Energiewende

Die deutsche Klimapolitik

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verursacht jede Menge Kollateralschäden. Es zeigt sich: Die komplexen langfristigen Prozesse erfordern einen anderen Rhythmus als Wahlperioden – erst recht bei einem „Generationenprojekt“ wie der Energiewende.

Am Anfang ging es nur ums Geld, das war im Jahr 1990. Matthias Engelsberger hatte jahrelang mit Energiekonzernen um Strompreise gefeilscht. Seiner Meinung nach war er dabei über den Tisch gezogen worden. Engelsberger hatte ein Kleinwasserkraftwerk von seinem Vater übernommen, er trat für den Verband der bayerischen Wasserkraftwerke an. Und er war Abgeordneter der CSU. Die bayerischen Gemeinden, die an ihren Bächen und Flüssen kleine Laufwasser-Räder zur Stromproduktion betrieben, wurden von den Energieriesen, die den Strom aufkauften, damals mit Pfennigbeträgen abgespeist.

Irgendwann, so beschreiben es die frühen Berichte über die Geburtsstunde der deutschen Energiewende, platzte Engelsberger der Kragen. Der Zorn des Gemeinderats aus der Traunstein-Gemeinde Siegsdorf sollte die Energiepolitik verändern – in Deutschland und in der ganzen Welt.

Engelsberger suchte einen Verbündeten, und er fand ihn ausgerechnet in dem Grünen-Abgeordneten und früheren Wackersdorf-Kämpfer Wolfgang Daniels. Gemeinsam brachten sie im Bundestag ein Gesetz ein, um den kleinen Wasserkraftwerken in Bayern und Ökostrom-Produzenten überall eine staatlich garantierte Einspeisevergütung zu verschaffen. Zur Überraschung des ungleichen Paares zog die CDU/CSU-Fraktion mit. Das erste Stromeinspeisegesetz der Welt war geboren: Energiekonzerne wurden verpflichtet, den Betreibern von Ökostrom Mindestpreise zu zahlen.

Das Gesetz von 1991 wurde zur Blaupause für den ökologischen Energiewandel. Die Klimaerwärmung, nach heutigem Kenntnisstand vor allem verursacht durch Abgase von Kraftwerken, machte damals vielen Ländern zunehmend Sorgen. Bei der Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen 1997 in Japan verabschiedeten die Mitglieder mit dem sogenannten Kyoto-Protokoll völkerrechtlich verbindliche Ziele im Klimaschutz. Die Idee, Stromnetzbetreiber zu verpflichten, Ökostrom zu staatlich festgelegten Preisen aufkaufen zu müssen, wurde bald von Dutzenden Ländern kopiert.

Seither gibt es im weltweiten Klimaschutz einen Dualismus von Mechanismen der Marktwirtschaft und von staatlicher Regulierung. Die Befürworter der freien Marktwirtschaft wollen das meiste den Marktakteuren überlassen. Im Sinne des Umweltschutzes machen sie eine Ausnahme: Die Zahl handelbarer Kohlenstoffdioxid-Berechtigungen soll vorgeschrieben werden. Das sind Berechtigungen für den CO2-Ausstoß, die Industriebetriebe und Kraftwerksbetreiber bei staatlichen Stellen kaufen oder ersteigern müssen.

Da die CO2-Berechtigungen frei handelbar sind, können Unternehmen, die zu viel emittieren, sich aber keine teuren Investitionen in Umwelttechnik leisten wollen, sie auch von anderen Marktteilnehmern kaufen. Das führt dazu, dass Klimaschutz-Investitionen an der kostengünstigsten Stelle erfolgen. Die Zahl der Berechtigungen ist streng begrenzt und wird Jahr für Jahr reduziert. Seit 2005 wird der Emissionshandel in der Europäischen Union grenzüberschreitend umgesetzt – und erreicht seine für 2020 gesetzten Klimaschutzziele volkswirtschaftlich effizient und vollständig.

Parallel und oft in Widerspruch zu dieser marktwirtschaftlichen Idee setzt die Politik in Deutschland vor allem auf staatliche Regulierung. Eine immer umfangreicher werdende Planungsbürokratie ist damit beschäftigt, mehr als 3000 verschiedene Einzelpreise für verschiedene Bio-, Wind- und Solarstromarten gesetzlich festzulegen und ständig nachzujustieren. Es mündete in eine lange Kette staatlicher Eingriffe, die sich oft als teuer, wirkungslos oder sogar kontraproduktiv erwiesen haben.

Hubertus Bardt, wissenschaftlicher Leiter des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln), spricht vor einer „Planbarkeitsillusion“ der politischen Gestalter: „Die Bundesregierung glaubt, Jahrzehnte im Voraus zu wissen, welche Technologie im jeweiligen Sektor die richtige sein wird.“ Dabei hätten sich in der jungen Geschichte der Energiewende einige frühe Festlegungen schon nach kurzer Zeit als falsch erwiesen, sagt Bardt: „Wir brauchen den Wettbewerb um die besten Technologien für mehr Klimaschutz.“

Sieben Beispiele, wie in der Energiewende aus gut gemeint schlecht gelungen wurde – und warum:

1. Einspeisevorrang ohne Wirkung

Zu einer entscheidenden Erweiterung des Stromeinspeisegesetzes kam es 1999: Im Büro des SPD-Abgeordneten Hermann Scheer in Berlin trafen sich neben seinem Fraktionskollegen Dietmar Schütz auch die Grünen-Abgeordneten Michaele Hustedt und Hans-Josef Fell. Gemeinsam entwarfen sie den Vorschlag, das von Engelsberger ersonnene Stromeinspeisegesetz durch einen „Einspeisevorrang“ zu ergänzen: Ökostrom – aus Sonne, Wind oder Biomasse – sollte im Leitungsnetz Vorrang vor Kohle- und Atomstrom haben. Die neuen Regeln sollten nun „Erneuerbare Energien-Gesetz“ oder kurz EEG heißen und fossile Stromquellen mit der Zeit automatisch verdrängen. Das EEG ersetzte im Jahr 2000 das Stromeinspeisegesetz.

Das EEG gilt heute als Erfolg, schließlich führte es zu einem rapiden Ausbau vor allem von Wind- und Solaranlagen in Deutschland. Wenn sich die Bundesregierung 2004 das Ziel gesetzt hatte, den Ökostrom-Anteil im deutschen Strommix bis 2020 auf 20 Prozent zu steigern, kann Simone Peter, die Präsidentin des Bundesverbandes Erneuerbare Energien, heute Plan-Übererfüllung melden: „Diese Vorgabe werden wir im Zieljahr 2020 glatt verdoppelt haben.“

Der Erfolg hatte aber seinen Preis – im wahrsten Sinne des Wortes. Zweck des EEG, das ist in dem Gesetz festgelegt, war es auch, die volkswirtschaftlichen Kosten der Energieversorgung zu verringern. Aber 20 Jahre nach seinem Inkrafttreten zahlen deutsche Haushalte und Industriebetriebe noch immer die höchsten Strompreise Europas. Und daran dürfte sich auf absehbare Zeit auch nichts ändern.

Während die Verbraucher die Extrakosten der Ökostrom-Produktion bald mit einem dreistelligen Milliardenbetrag subventionierten, blieb der erhoffte Verdrängungseffekt am Energiemarkt aus. Obwohl vor allem in Zeiten mit viel Wind und Sonne große Mengen erneuerbarer Strom in die Leitungen drängte, produzierten Kohlekraftwerke weiter. Auch weil die Kraftwerke in vielen Städten im Winter als Lieferant von Fernwärme unverzichtbar waren, blieben sie am Netz. Selbst in Zeiten höchster Wind- und Solarstrom-Einspeisung können fossile Kraftwerke nicht auf null runtergefahren werden, weil sie bei einer plötzlichen Flaute oder Dunkelphase schnell als Back-up bereitstehen müssen.

Die deutschen CO2-Emissionen sind – abgesehen vom Sonnenjahr 2018 – seit zehn Jahren praktisch nicht gesunken. Im Energiewende-Index des World Economic Forum, der den Fortschritt der Staaten beim ökologischen Umbau misst, rangiert Deutschland in den meisten Kategorien auf den hinteren Plätzen und schafft es auch in Europa in der Gesamtwirkung nicht unter die Top-10.

Das Kalkül der EEG-Väter, fossile und atomare Energien durch Zwangseinspeisung des subventionierten Grünstroms aus dem Markt zu drängen, ging nicht auf: Zuletzt sah die Politik keine andere Möglichkeit mehr, als 2011 den Atomkraftwerken und im Januar dieses Jahres den Kohlekraftwerken mit Sondergesetzen die Betriebserlaubnis zu entziehen – und dafür zusätzlich zu den EEG-Summen weitere Milliarden als Entschädigung auszuzahlen.

2. Umweltschäden durch Ökostrom

Der sichtbare Erfolg der Energiewende-Politik besteht vor allem darin, gewaltige Kapazitäten an Wind- und Solarstrom geschaffen zu haben, die heute im Jahresdurchschnitt nahezu 40 Prozent der Stromnachfrage decken.

Allerdings macht der Stromsektor nur ein Fünftel des gesamten deutschen Energiebedarfs aus: Der Verbrauch von Kraft- und Brennstoffen für Verkehr und Heizungen spielt mit 80 Prozent eine deutlich größere Rolle. Hier aber hat Ökostrom bislang kaum einen Anteil. Zum Gesamt- oder Primärenergieverbrauch Deutschlands trugen erneuerbare Energien 2017 nur 13 Prozent bei. Die besonders geförderte Windkraft hat gegenwärtig nur einen Anteil von 2,8 Prozent, Solarstrom kommt auf gerade einmal 1,1 Prozent.

Dieser geringe Anteil wurde bereits mit einem immensen Eingriff in die Kulturlandschaft erkauft, der inzwischen zu immer mehr Konflikten mit dem Wald-, Wasser- und Artenschutz führt. Weil inzwischen in Deutschland 30.000 Windkraftanlagen in der Landschaft stehen, ist der Platz knapp: In Hessen werden deshalb inzwischen neun von zehn Windkraftanlagen in Wäldern errichtet, in Rheinland-Pfalz dreht sich bereits jedes vierte Windrad im Wald.

Vogelschützer überziehen inzwischen vielerorts Windkraft-Planer mit Klagen: Sie warnen vor der Ausrottung der hauptsächlich in Deutschland beheimateten Raubvogelart Rotmilan und bestandsgefährdenden Belastungen für andere seltene Arten. So klagt der Naturschutzbund NABU zum Beispiel gegen den Bau des Windparks „Friedländer Große Wiese“ am Stettiner Haff in Mecklenburg-Vorpommern: Die Vogelschützer sehen Gefahr, weil der empfohlene Mindestabstand zu Nestern von Rotmilanen, Seeadlern und Weißstörchen nicht eingehalten wird. Auch stelle der Windpark ein „Tötungsrisiko“ für den streng geschützten Schreiadler dar, der in nur 1000 Meter Entfernung nistet und das Niedermoor zur Nahrungssuche nutzt.

Auch Fledermäuse fallen den Windrädern hunderttausendfach zum Opfer. Und eine Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt legt den Verdacht nahe, dass Windräder für einen Teil des Insektensterbens mit verantwortlich sein könnten.

Das Recycling der Windkraftanlagen, von denen in den kommenden Jahren Tausende das Ende ihrer Nutzungsdauer erreichen, ist ebenfalls nicht vollständig geklärt. Die verklebten Karbonfasern der Rotorblätter können nicht sinnvoll recycelt werden und bereiten teilweise sogar bei der Verbrennung Probleme in den Öfen. Lösungen dafür werden nach Branchenangaben erst noch entwickelt. Die Fundamente vieler abgerissener Windkraftanlagen verbleiben regelwidrig im Boden, weil die Betreiber den Aufwand scheuen, Tausende Tonnen Beton herausmeißeln zu müssen. Lokale Umweltbehörden tolerieren diese Praxis oft; sie führt vielerorts bereits zu Auseinandersetzungen mit Wasserverbänden, die um die Integrität der Bodenschichten fürchten und damit auch um das Trinkwasser.

Exekutive und Legislative in Deutschland aber wissen nicht, wie sie mit den Umweltgefahren umgehen sollen, die mit der klimapolitisch motivierten Energiewende verbunden sind. Das Bundesamt für Naturschutz, eigentlich zuständig, lehnt es zum Beispiel ab, dem Verdacht nachzugehen, Windräder könnten für das Insektensterben mit verantwortlich sein. Offenbar will man lieber nicht so genau hinschauen.

Das gilt offenbar auch für die Solarenergie. Eine Studie des Instituts für Photovoltaik an der Universität Stuttgart warnte schon früh, dass von den giftigen Bleiverbindungen in Solarmodulen erhebliche Umweltgefahren ausgehen. Doch den technisch relativ leichten Ersatz des giftigen Schwermetalls will die Bundesregierung nicht vorschreiben, sie will auch die entsprechende EU-Richtlinie nicht anpassen lassen. „Das Problem“, sagt der Institutsleiter und Studienautor Jürgen Werner, „wird einfach ignoriert, negiert, totgeschwiegen.“ Im Gegenteil, die Forschung an besonders bleihaltigen Perowskit-Solarzellen werde immer stärker vorangetrieben: „Es wird also in den nächsten Jahren immer schlimmer werden.“

Ein in Berlin gegründetes „Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende“ versucht, die im ganzen Land aufflackernden Konflikte, vor allem zwischen Windkraftgegnern und Ökostrom-Planern, zu moderieren und im besten Fall aufzulösen. Doch die Zahl der Streitfälle ist zu groß: Inzwischen brechen die Anträge auf den Bau neuer Windparks regelrecht ein, weil den Investoren das Klage-Risiko zu groß geworden ist. Selbst die Privilegien der Windkraftbranche im Baugesetzbuch können inzwischen den als vorgesehenen Ökostrom-Ausbau nicht mehr garantieren. Inzwischen entlassen erste Windkraft-Unternehmen Mitarbeiter oder melden sogar Insolvenz an.

3. Atomkraft-Aus ohne Alternativplan

Nach der Havarie eines japanischen Kernkraftwerks in Fukushima reagierte die Bundesregierung im Jahr 2011 mit dem bis dahin wohl schwersten staatlichen Eingriff in den deutschen Energiemarkt. Atomkraftwerken wurde eine eng begrenzte Laufzeit vorgeschrieben, acht der 17 Meiler im Land wurden sofort stillgelegt.

Obwohl deutsche Atomkraftwerke, anders als in Japan, nicht durch Tsunamis gefährdet sind, gestand das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung diesen Eingriff in die Eigentumsrechte der Energiekonzerne zu: Schließlich handele es sich bei Kernkraft grundsätzlich um eine Risikotechnologie. Als verfassungswidrig werteten die Richter allenfalls den Versuch der Politik, die AKWs ohne Entschädigungszahlungen abschalten zu lassen.

Allerdings passte die Bundesregierung ihre Klimaschutz-Ziele danach nicht entsprechend an. Obwohl mit der Atomkraft die damals größte CO2-freie Stromquelle Deutschlands praktisch über Nacht ausgeknipst wurde, blieb es unverändert bei dem ohnehin ambitionierten Ziel, die CO2-Emissionen des Landes bis 2020 um 40 Prozent zu senken. Dass die Erreichung dieses Ziels ohne Atomkraft illusorisch war, hätte man damals schon wissen können. Heute steht fest: Deutschland wird das nationale Klimaziel bis 2020 um mindestens acht Prozentpunkte verfehlen.

„Über viele Jahre galt Deutschland als Vorreiter der Energiewende, doch die Realität heute sieht anders aus“, sagt Thomas Vahlenkamp, Senior Partner und Energieexperte des Beratungsunternehmens McKinsey: „Während hierzulande zentrale Klimaziele verfehlt werden und die Kosten weiter steigen, legen andere Länder der Welt beeindruckende Bilanzen vor, etwa wenn es um CO2-Reduktion, den Ausbau erneuerbarer Energien oder die Flexibilisierung der Stromsysteme geht.“

Vahlenkamp und sein Team messen mit einem „Energiewende-Index“ seit Jahren den Fortschritt beim ökologischen Umbau der Energieversorgung in Deutschland. Die Bilanz sei ernüchternd, meint er: „Gegenwärtig spricht kaum jemand mehr vom „Vorreiter Deutschland“ – und die Energiewende ist zum Krisenthema geworden.“

Wollte man früher den anderen Staaten durch besonders ehrgeizige nationale CO2-Zielsetzungen vorauspreschen, erklärte der zuständige Fachminister heute ungewohnt kleinlaut, Klimapolitik nur noch „im europäischen Geleitzug“ betreiben zu wollen.

4. Kompletter Verzicht auf Bioenergie

Im Strategiepapier „Klimaschutzplan 2050“ der Bundesregierung spielt Bioenergie keine bedeutende Rolle mehr – anders als früher angedacht. Es geht dabei zum Beispiel um Mais, aus dem vor allem Bioethanol hergestellt wird, das dann zu fünf oder zehn Prozent dem Benzin beigemischt ist. Oder um Raps, das der Herstellung von Biodiesel dient.

Die Anbauflächen, die dazu nötig sind, stehen dann nicht mehr für die Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung, deshalb lehnt die Politik eine stärkere Nutzung dieser klimaneutralen Kraftstoffe ab. Zudem scheiterte der Versuch der Bundesregierung, den Bio-Anteil im Sprit auf zehn Prozent zu erhöhen, auch an der Tankstelle: Autofahrer ließen „E10“-Benzin links liegen, weil sie Motorschäden befürchteten. In der Öffentlichkeit entbrannte eine empörte „Tank-statt-Teller“-Debatte.

Der Verzicht auf die Bioenergie bedeutet fast zwangsläufig das Scheitern bei der Erreichung der Klimaziele im Verkehr bis 2030. Allein mit Elektromobilität lassen sich die Emissionen nicht, wie angestrebt, um 42 Prozent senken. Selbst wenn es gelingen sollte, zehn Millionen Autos mit Elektromotor auf die Straße zu bringen, wie es die Bundesregierung plant, wären dann immer noch 35 Millionen Pkw mit Verbrennungsmotor unterwegs – und die bräuchten vor allem Biosprit, um klimaverträglich zu werden. Denn die Entwicklung sauberer synthetischer Kraftstoffe auf Basis von Wasserstoff, sogenannter E-Fuels, ist noch längst nicht ausgereift.

„Der Bundesregierung ist bisher offenbar nicht klar, was die Energiewende im Verkehrssektor bedeutet“, sagt Frank Brühning, Sprecher des Biokraftstoffverbands. Der Lobbyist spricht zwar im wirtschaftlichen Interesse seiner Branche, hat in der Analyse jedoch einen offensichtlichen Punkt: „Um die Klimaschutzziele bis 2030 zu erreichen, müsste der Anteil alternativer Kraftstoffe auf etwa 20 Prozent des Energiebedarfs im Verkehr steigen.“ Doch die Bundesregierung gebe sich „seit Jahren mit rund 5 Prozent zufrieden“.

Sind die Kollateralschäden der Bioenergie tatsächlich so groß? Zwar ist es im Sinne des Naturschutzes wichtig, eine weitflächige „Vermaisung“ von Landschaft zu vermeiden, und die Bio-Diversität durch eine wechselhaftere und kleinteiligere Landwirtschaft zu unterstützen. Doch die pauschale Kritik an den angeblichen „Raps-Monokulturen“ macht es sich auch zu einfach. Raps wird in der Regel eben nicht in Monokultur, sondern in Fruchtfolge angebaut. Zudem wird die Pflanze von Insekten und insbesondere Honigbienen gern genutzt, lockert den Boden auf und sorgt damit im Schnitt für eine um zehn Prozent höhere Getreideernte im Folgejahr.

Tatsächlich ist der Raps-Anbau in Deutschland extrem eingebrochen: Seit 2014 haben sich die Erträge auf 3,5 Millionen Tonnen nahezu halbiert. In diesem Jahr ist die Anbaufläche weiter geschrumpft, auf unter eine Million Hektar, den geringsten Wert seit 22 Jahren. Das hat zwar verschiedene Gründe, aber die unsichere Zukunftsperspektive für Biokraftstoffe trägt dazu bei.

Raps ist gleichzeitig auch Deutschlands wichtigste Proteinpflanze, von der nur 40 Prozent der Ölproduktion, 60 Prozent als Tierfutter dient. Weil immer weniger davon angebaut wird, sank Deutschlands Selbstversorgung mit heimischem Proteinfutter innerhalb von fünf Jahren von 40 auf nur noch 28 Prozent. Die Lücke füllt nun immer mehr importiertes Soja, vor allem aus Lateinamerika, das meist genmodifiziert ist. Der Biodiesel-Bann trägt also nicht zuletzt mit dazu bei, dass heimisches Proteinfutter knapp wird.

5. Voreilige Förderung der E-Mobilität

„Technologieoffenheit“ wird von deutschen Energie- und Verkehrspolitikern sehr oft beschworen: Die richtige Technik soll nicht der Staat vorgeben, sondern der Markt. Die Politik selbst hält sich nicht daran. Bei der Verkehrswende hat man sich festgelegt: Es soll das Elektroauto sein und sonst nichts. Die E-Mobilität wird nicht nur von der EU, sondern auch von der Bundesregierung nach Kräften gefördert: Befreiung von Kfz-Steuern, staatliche Kaufprämie, Steuerentlastung auf Dienstautos und geringere Energiesteuern auf Strom im Vergleich zu Benzin und Diesel. Nach Berechnungen von Michael Bräuninger vom Institut Economic Trend Research (ETR) „ist ein Elektroauto wie der BMW i3 über eine Nutzungsdauer von zwölf Jahren um 18.000 Euro besser gestellt als ein VW Golf mit Benzin-Motor“.

Dabei ist längst nicht klar, ob die ökologischen Vorteile des Batterie-Antriebs wirklich so groß sind. Im aktuellen deutschen Strommix, der noch rund 40 Prozent Kohlestrom enthält, muss ein Elektro-Wagen wie der Tesla S nach Berechnungen des ADAC immerhin 580.000 Kilometer fahren, bis er so ökologisch ist wie ein gleichwertiger Diesel-Pkw. Die bislang noch weitgehend ungeklärte Frage von Batterie-Recycling und Entsorgung belastet die Klimabilanz der Elektromobilität schwer.

Zugleich hat die E-Autoförderung den Effekt, dass andere, klimafreundliche Antriebe derzeit keine Chance haben. Synthetische Kraftstoffe wie besagte E-Fuels zum Beispiel werden in einem Elektrolyse genannten Prozess mithilfe von Ökostrom aus Wasser und CO2 hergestellt. Sie sind annähernd treibhausgasneutral. Dasselbe gilt für Biokraftstoffe der zweiten oder dritten Generation. Würden solche klimaneutralen Treibstoffe dieselbe staatliche Unterstützung erfahren wie das batteriebetriebene Auto, hat Studienautor Bräuninger ausgerechnet, „könnte man diese Kraftstoffe mit Beträgen von deutlich über zwei Euro je Liter fördern“.

Die Erdgas-Branche wiederum ist sauer auf die von der EU vorgeschriebenen CO2-Flottengrenzwerte für Autobauer. Für Timm Kehler, Vorstand der Brancheninitiative „Zukunft Erdgas“ war es „eine lange Kette aus Politikversagen und Fehlanreizen“, die schließlich zu den Dieselfahrverboten geführt haben. „Es gibt sehr gute Alternativen zum Diesel, die man zu lange ignoriert hat“, sagt Kehler: „Mit Erdgas im Tank wäre das nicht passiert.“

Elektro-Autos werden so behandelt, als würden sie stets mit 100 Prozent klimaneutralem Ökostrom betankt, auch wenn sie tatsächlich fast zur Hälfte Kilowattstunden aus Kohlestrom im Akku haben. Biomethan, obwohl annähernd klimaneutral, wird mit demselben Klima-Malus belastet wie Erdgas. Das hat zur Folge, dass Erdgas-Autos von den Autobauern kaum entwickelt werden, weil sie den Emissionsdurchschnitt der Flotte rein formal nicht senken – obwohl sie es in der Realität sehr wohl täten.

Ebenso könnte es sich für die Klimapolitiker noch als Fehler erweisen, dass Hybrid-Autos besonders gefördert werden. Denn auf dem Prüfstand darf ein Hybrid einen Teil der Zeit nur mit seinem Elektromotor fahren, und bekommt dafür null Gramm CO2 angerechnet. Für den Rest der Testzeit wird der eingebaute Verbrennungsmotor genutzt. Die Folgen sind nach Berechnungen der Brancheninitiative „Zukunft Erdgas“ fatal: „Dadurch können zum Beispiel einem Porsche Panamera Hybrid mit rund 400 PS nur 60 Gramm CO2 pro Kilometer angerechnet werden. Ein kleiner VW up!, der mit 100 Prozent Biomethan nahezu klimaneutral fährt, wird hingegen mit 81 Gramm CO2 bewertet.“

Der Kleinwagen erfüllt die von der EU vorgegebenen CO2-Grenzwerte für 2030 nicht, der 400-PS-Porsche hingegen schon. Ob der Porsche Hybrid im realen Straßenverkehr seinen sauberen Elektromotor überhaupt nutzt, ist aus Sicht der Erdgas-Initiative dabei noch „äußerst fraglich:“ Es sei nicht auszuschließen, dass die Fahrer eines Hybrid-Porsches ausschließlich den schmutzigeren Verbrennungsmotor einsetzen.

6. Heizung ohne Ökotechnologie

Auch im Immobilienbereich hatten staatliche Eingriffe nicht nur gewollte Folgen – im Gegenteil. Die Landesregierung Baden-Württemberg hatte schon 2010 als erstes und bis heute einziges Bundesland eine gesetzliche Nutzungspflicht für erneuerbare Energie im Gebäudebestand eingeführt. Es ging dabei vor allem um die Heizungssanierung, die wegen ihres großen Potenzials gemeinhin als „schlafender Riese des Klimaschutzes“ gilt. Wer seine Heizung erneuerte, sollte 15 Prozent Öko-Wärme aus Solarthermie, Wärmepumpe oder Biobrennstoff einbeziehen müssen.

Der Bundesverband der Deutschen Heizungsindustrie (BDH) verfolgte das Experiment im Südwesten über Jahre und zog am Ende das Fazit: Die Pflicht zur Öko-Heizung hatte nicht eine einzige Tonne CO2 eingespart. Viele Hausbesitzer waren der Vorschrift zuvorgekommen und hatten schnell noch vor Inkrafttreten des Gesetzes eine neue Heizung eingebaut – allerdings keine teure Öko-Technologie, sondern eine günstigere Heizungstechnik mit geringerer Effizienz. Die übrigen warteten ab und taten gar nichts mehr: Die Heizungsmodernisierung in Baden-Württemberg rutschte in den Jahren 2010 bis 2015 rund 13 Prozent unter den Bundesdurchschnitt.

Ohne die Initiative des Landes wären die Sanierungsquoten wohl auf dem früheren Stand geblieben. Dann hätte das Ländle 180.000 Tonnen CO2 weniger ausgestoßen. So aber löste das Klimaschutzgesetz einen Mehrverbrauch von umgerechnet 56,9 Millionen Litern Heizöl aus.

7. Förderung, die ins Leere geht

Gebäude sollen insgesamt energieeffizienter werden – bis 2030 sollen die CO2-Emissionen von Wohn- und Geschäftsgebäuden laut Klimaschutzplan um 66 Prozent gegenüber 1990 sinken. Das ist der höchste Prozentsatz, verglichen mit allen anderen Wirtschaftsbereichen. Eine wichtige Rolle auf dem Weg dahin soll die staatliche Förderbank KfW spielen.

Über verschiedene Effizienzhaus- und Sanierungs-Programme können Hauseigentümer dort entweder zinsgünstige Darlehen oder direkte Zuschüsse beantragen, sowohl für Neubauten als auch für Sanierungen im Bestand. Gefördert werden beispielsweise neue Fenster, Heizungen, eine Dämmung oder alternative Energieerzeugung. Doch der Anreiz funktioniert offenbar nicht. Die Fördermittel werden immer weniger abgerufen, trotz Bauboom und Klimawandel-Diskussion.

Im Jahr 2017 wurden über KfW-Effizienzprogramme für Bauen und Sanieren in 235.799 Fällen rund 14,2 Milliarden Euro an private Haushalte verteilt. Im vergangenen Jahr waren es nur noch zwölf Milliarden, in rund 220.000 Fällen. Auch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) vergibt Fördergelder, ebenso die Bundesländer sowie manche Kommunen. Die verschiedenen Förderwege sind kaum bekannt, Experten kritisieren das als „Informationsversagen am Markt“.

Dazu kommt, dass schon in der Planungsphase komplexe Anträge gestellt und Nachweise erbracht werden müssen, inwiefern sich eine energetische Sanierung lohnt. Sachverständige müssen die Immobilie prüfen. Darauf verzichten die Beteiligten immer häufiger, zumal sich ihre Bauherren ohnehin billiges Baugeld am Kapitalmarkt leicht besorgen können und finanziell nicht unbedingt auf eine Förderung angewiesen sind.

Zu allem Überfluss hat die KfW die Bedingungen immer weiter nach oben geschraubt. Eine Neubau-Förderung gibt es nur noch, wenn höchste Effizienzstandards erreicht werden. Im Ergebnis bleiben etliche Fördermilliarden ungenutzt liegen. Und die Gebäude energetisch ineffizient.

Fazit: Markt statt Plan

Der Bundesrechnungshof formulierte jüngst in einer Kritik, der Politik sei die Koordination der Energiewende weitgehend entglitten, es gebe „deutliche Zielverfehlungen“, aber noch nicht einmal eine Kostenübersicht.

Man hätte es wissen können. Schon 2013 hatte der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) vor einer Überforderung der Planungsbürokratie gewarnt. In der wissenschaftlichen Literatur werde „eine hierarchische Steuerung und Planung eines solcherart außerordentlich komplexen Gesamtsystems weder für möglich noch für wünschenswert gehalten“, erklärte der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung in einem Sondergutachten: „Das politische System wäre von der Komplexität der Fragen informatorisch überfordert, hätte nicht die Kapazität, alle Detailkonflikte zentral zu lösen und würde folglich vereinfachende Fehlsteuerungen produzieren.“

Die Warnung wurde in den Wind geschlagen, der Gestaltungswille bleibt hoch. Mit der jüngsten Einsetzung eines „Klimakabinetts“ innerhalb der Bundesregierung könnte der Umfang der energie- und klimapolitischen Regulierung noch zunehmen. Noch für dieses Jahr ist geplant, ein Klimaschutzgesetz zu verabschieden, das innerhalb der Bundesregierung für klare Verantwortlichkeiten und „garantierte“ Erfolge sorgen soll.

Immer mehr Spitzenpolitiker fordern eine CO2-Steuer
Immer mehr Politiker fordern die Einführung einer CO2-Steuer für den Klimaschutz. Kritiker befürchten eine drastische Preiserhöhung bei Sprit und Heizöl, die nur zulasten der Verbraucher gehen würde.

Quelle: WELT/ Eybe Ahlers

Außerdem spricht sich der Sachverständigenrat für Umweltfragen trotz seiner Warnungen vor der Überforderung der Politik dafür aus, alle Entscheidungsstränge künftig in den Händen eines „Staatsministers Energiewende“ im Bundeskanzleramt zusammenlaufen zu lassen.

Die Konsequenz aus den bisherigen Erfahrungen müsste eigentlich die Einsicht sein, dass die komplexen langfristigen Prozesse der Energiewende kurzfristig nicht planbar sind. Industrielle Investitionszyklen von zwanzig bis vierzig Jahren folgen einem anderen Rhythmus als Wahlperioden – und erst recht ein „Generationenprojekt“ wie die Energiewende.

Womöglich ist nicht nur deswegen eine stärkere Zurückhaltung der Politik zugunsten der freien Marktentwicklung der bessere Weg – so wie dies mit dem Europäischen Emissionshandel bereits in Industrie und Stromerzeugung erfolgreich geschieht. Eine Ausweitung des Prinzips auf Kraft- und Brennstoffe im Verkehr und im Gebäudebereich wäre relativ leicht möglich, und es bedeutete: Klimaschutz würde an der kostengünstigsten Stelle umgesetzt.

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